lobesam

Montag, 10. Juli 2006

Sodom und Gomorrha

„Ein jeder nennt die Gedanken klar,
die den gleichen Grad der Konfusion
haben wie seine eigenen.“

Marcel Proust, vor 135 Jahren in Auteuil geboren. Sodom und Gomorrha ohne „wirklich Mord und Totschlag“ derzeit täglich in Berlin. Für alle nicht Berliner:

„La femme aura Gomorrhe
et l'homme aura Sodome

On sait que bien avant d'aller ce jour-là (le jour où avait lieu la soirée de la princesse de Guermantes) rendre au duc et à la duchesse la visite que je viens de raconter, j'avais épié leur retour et fait, pendant la durée de mon guet, une découverte, concernant particulièrement M. de Charlus, mais si importante en elle-même que j'ai jusqu'ici, jusqu'au moment de pouvoir lui donner la place et l'étendue voulues, différé de la rapporter.“ […]

Deutschland - hoch! hurra! töff töff!


„Erst fallen die Devisen.
Dann fällst du zu diesen.“


Erich Mühsam, Schriftsteller, Publizist und Anarchist war führend beteiligt an der anarchistischen Münchner Räterepublik, verbrachte danach fünf Jahre in Festungshaft wegen Hochverrat. Mühsam kämpfte in der Weimarer Republik in der Roten Hilfe für die Freilassung politischer Gefangener. 1933 nach dem Reichstagsbrand verhaftet durch die SA wurde er in der Nacht vom 9. zum 10. Juli 1934 von der bayrischen SS-Wachmannschaft des KZ Oranienburg ermordet.

Töff töff -Hurra!

Puff puff puff und töff töff töff -
Kindsgeschrei und Hundsgekläff!
Durch die Linden rase, rase!
Patriotisch, mit Emphase!
Hurra, hurra! Ganz Berlin
stinkt nach Gummi und Benzin.
Holla, holla, Polizei!
Halte Platz und Straßen frei,
daß das Auto nicht mehr weichen
oder stolpern über Leichen
braucht, denn das gab erst Geschrei
und 'ne Straßenschweinerei.
Maul gehalten, Bürgersmann!
Was gehn dich die Autos an?
Schleunigst ran zu Huldigungen,
»Deutschland, Deutschland« mitgesungen!
Andernfalls fliegst du ins Loch.
Hurra, hurra - dreimal hoch!
Tutend, pustend kommt's gesaust,
Jubel und Begeist'rung braust.
Mütter krähen, Väter niesen:
Deutschlands Treue ist erwiesen.
Kindsgeplärr und Hundsgekläff -
Deutschland - hoch! hurra! töff töff!

[Erich Mühsam, Der Wahre Jacob, 1903]

Sonntag, 9. Juli 2006

Zwischen den Stühlen

„Er sprach ganz anders über Gedichte als meine Professoren, bescheidener und kühner zugleich, auf jeden Fall authentischer, weil er den Dichter nicht spielte, wie diese Herren es gelegentlich versuchten, sondern einer war.“

Michael Buselmeier über H. A. Astel, der vor 73 Jahren in München geboren wurde.


ZUKUNFT

Von unserer Grammatik
wird man berichten
wie von fremden Völkern.
Es gab da vier verschiedene
Formen der Vergangenheit,
wird er gesagt haben,
wenn alle den Kopf schütteln.

[A. Astel, Zwischen den Stühlen]

Samstag, 8. Juli 2006

121 Jahre Bloch

„Keiner von uns allen könnte nicht auch ein anderer sein. Ein Strauch tut sich vorerst genug damit, einer zu sein. Doch aus einem Menschen kann sozusagen alles werden, unfertig wie er ist. Dunkel und unbestimmt, wie er an sich selber, in seinen Falten ist. Eine Frau, der es schlecht geht, wird, allein gelassen, gleichsam zu allem fähig. Ein Mann, in prekäre Lage gebracht oder aus seiner bisherigen Lage jäh entfernt, ist immerhin imstande, stehenden Fußes unter die Drachen zu gehen. Beispiele davon sind so zahlreich wie der Sand, auf den sie gebaut sind. Sie fallen sowohl auf die düstere Seite des Trau-schau-wem wie auf eine tüchtig verblüffende. Freilich ist hierbei einiges vorgearbeitet, kein Mensch ist nur Wachs, und keiner ist auch ein frei aus sich rollendes Rad. Statt des Wachses gibt es mitgebrachte Anlagen, wenn auch mehr der Begabung als des Charakters. Statt des frei aus sich rollenden Rads gibt es die Klasse, gibt es die jeweils so oder so beschaffene Gesellschaft und Zeit, in die die Menschen mit ihren Anlagen hineingeboren werden. Es gibt darin überlieferte Leitbilder des Soseins, geschichtlich geformte, die den Traum von der eigenen Rolle erst fassbar machen.“
[E. Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Dritter Band, Leitbilder Selber, um menschenähnlich zu werden]

Für alle ...

... die heute kein Meer sehen können: Das Mittelmeerhassblatt
von Chlodwig Poth, vor zwei Jahren in Frankfurt gestorben. „Der große Poth ist überhaupt nicht tot, er ist ja nur gestorben“ schreibt O. M. Schmitt.

Freitag, 7. Juli 2006

Gottfried Benn

Staatsbibliothek

Staatsbibliothek, Kaschemme,
Resultatverlies,
Satzbordell, Maremme,
Fieberparadies:
Wenn die Katakomben
Glühn im Wortvibrier,
und die Hekatomben
sind ein weißer Stier –

wenn Vergang der Zeiten,
wenn die Stunde stockt,
weil im Satz der Seiten
eine Silbe lockt,
die den Zweckgewalten,
reinen Lustgewinn
rauscht in Sturzgewalten
löwenhaft den Sinn -:

wenn das Säkulare,
tausendstimmig Blut
auferlebt im Aare
neuer Himmel ruht:
Opfer, Beil und Wunde,
Hades, Mutterhort
für der Schöpfungsstunde
traumbeladenes Wort.

[Gottfried Benn, vor 50 Jahren in Berlin gestorben:
Sämtliche Werke. Bd. 1: Gedichte]

Montag, 3. Juli 2006

Franz Kafka

„Ich glaube, man sollte überhaupt nur noch solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen“ schrieb der am 3. Juli 1883 in Prag geborene Franz Kafka 1904 an Oskar Pollak

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.
[Franz Kafka, Kleine Fabel]

Sonntag, 2. Juli 2006

Axel Brauns

„Als ich zwei Jahre alt war (...), verloren die Menschen um mich herum ihr Aussehen. Ihre Augen lösten sich in Luft auf. Nebel verschleierte ihre Gesichter. Die Stimmen verdunsteten.“
Schreibt Axel Brauns, vor 43 Jahren geboren, in seiner Autobiographie „Buntschatten und Fledermäuse – Leben in einer anderen Welt“. In seiner Welt fokussiert, reagiert der halbwüchsige Autist verständnislos auf seine Mitmenschen. Worte, die an ihn gerichtet werden, beschreibt er als „Geräusch“, Gespräche als „Lippenlärm“, Unverständliches als „Lärmchen“. Die Mitmenschen teilt er in gute und böse ein: „Buntschatten“ nennt er die Guten, „Fledermäuse“ die Bösen. Hörproben aus „Buntschatten und Fledermäuse“ gibt’s hier.

Wer wird nicht einen Klopstock loben?

Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? Nein!
Wir wollen weniger erhoben
und fleißiger gelesen sein."

Lobhudelt G. E. Lessing (in seinen Sinngedichten) als Laudatio für das Geburtstagskind Friedrich Gottlieb Klopstock, vor 282 Jahren in Quedlinburg geboren.

Kränzet mein Haupt, Lorber des Siegs: Mit des Manns Kraft
Hab' ich gekämpft. Die Verkennung, die Entedlung
Dessen, was sie erhöht die Menschen,
Was sie zu Menschen macht!
Zeigten sich mir; ach und der Gram, und der Abscheu
Fielen mich an, mich mit Wuth an das Entsetzen!
Wonn'! ich habe gesiegt, geworden
Bin ich nicht Menschenfeind.
Heiß war der Kampf, daurend, es galt um des Lebens
Ruh! Denn erlag der bekämpfte; so verlosch mir
Jede Freude! die Welt war stumme
Öde mir! Tag war Nacht!

[Klopstock: Der Sieger, 1795]

Freitag, 30. Juni 2006

Robert Gernhardt

Trost und Rat
Ja wer wird denn gleich verzweifeln,
weil er klein und laut und dumm ist?
Jedes Leben endet. Leb so,
daß du, wenn dein Leben um ist
von dir sagen kannst: Na wenn schon!
Ist mein Leben jetzt auch um,
habe ich doch was geleistet:
Ich war klein und laut und dumm.
[Robert Gernhardt: Wörtersee]

Robert Gernhardt starb heute im Alter von 68 Jahren in Frankfurt.

Am Abend
Wenn ich vom Abendlärm der Städte
getrieben in die Schenke trete
um erst mit innigstem Behagen
so ein, zwei Klare einzujagen
um dann mit freudigstem Begreifen
diverse Bierchen einzupfeifen
um drauf mit holdestem Entzücken
rasch drei, vier Obstler zu verdrücken
um noch mit dankbarstem Verstehen
verschiedne Weine einzudrehen -
dann pfleg ich mit gespieltem Klagen
"Ach, ach" und auch "Doch, doch" zu sagen.
[Robert Gernhardt: Wörtersee]

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Seit langen das beste...
Seit langen das beste Gedicht was ich gelesen habe....
Laura Kinderspiel - 12. Nov, 11:30
wow..
..echt "hot" diese Sonnenblumen.. seit langem die beste...
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Ich mag sowas ja sehr...
Ich mag sowas ja sehr gerne lesen, vor allem richtig...
huflaikhan - 26. Dez, 16:15
Hatschi
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Natürlich ist das ...
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BusterG - 17. Dez, 00:21

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